Freitag, 15. Juli 2016

Auf Zur Europäischen Republik?

In Maybrit Illner's Sendung am 14. Juli wurde das Thema "Planlos nach dem Brexit - wie weiter in Europa?" diskutiert. Unter den Diskussionsteilnehmern war auch Frau Prof. Ulrike Guérot, ihres Zeichens Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems.

Guérot gab sich als leidenschaftliche Gegnerin von nationalstaatlichem Denken (und Nationalstaaten!) in der EU. Ihre Kernaussage: "Es gibt heute keine 'Franzosen', keine 'Deutschen', etc. mehr!" Ziel müsse es sein, eine europäische Republik zu gründen, wo alle Europäer vor dem gleichen Recht gleich sind. Nationalstaatliches Denken muß durch transnationales, regionales Denken ersetzt werden. In der Diskussionsrunde erntete Guérot keine Zustimmung, vom Publikum hingegen Applaus.

Ich habe auf Guérot's Ausführungen mit angehängtem Schreiben reagiert.


Sehr geehrte Frau Prof. Guérot,

einerseits war ich sehr beeindruckt, wie leidenschaftlich Sie sich bei Maybrit Illner für eine EU ohne nationalstaatliches Denken (keine Nationalstaaten mehr, sondern nur Regionen) begeistern konnten. Wenn Sie sich nicht ohnehin schon für DIEM 2025 von Yanis Varoufakis engagieren, wäre das sicherlich ein interessantes Engagement für Sie. Varoufakis’ Ziele sind Ihren Äußerungen bei der TV Diskussion sehr ähnlich.

Andererseits stellen sich für mich ein paar einfache Fragen: Wieviele Mannschaften würde Ihre europäische Republik ohne Nationalstaaten zu den olympischen Spielen schicken? Wieviele Mannschaften würde dieses Europa zur den Fußballweltmeisterschaften schicken? Gäbe es dann noch Fußball-Europameisterschaften? Und - last but not least - wieviele Mitglieder hätte die UNO aus dieser europäischen Republik? Wenn man die europäische Republik ernst nimmt, dann müsste die Antwort auf diese Fragen (und auf ähnliche andere) „1“ sein.

Ich meine, dass Sie die 3 Einwände gegen eine Art „Vereinigte Staaten (bzw. Regionen) von Europa“ von Prof. Ralf Dahrendorf nicht ausreichend gewürdigt haben:

1) Es gibt keinerlei Beispiele für wirksame demokratische Institutionen außerhalb des Nationalstaates.
2) Nur der Nationalstaat kann letztendlich verzweifelten Globalisierungsverlierern den Halt inmitten von unruhigen Emotionen geben (siehe UK).
3) Das Projekt Europa könnte sich auf den Irrweg des Anti-Amerikanismus’ begeben.

À propos Amerika. Wenn man die Gründerzeit der USA mit der Entwicklung der europäischen Vereinigung vergleicht, dann kann man nur sagen, dass die letzten 50-60 Jahre der europäischen Integration wesentlich glatter verliefen als die ersten Jahrzehnte der USA. Die USA waren in ihren ersten Jahren mehrmals an einem Bürgerkrieg nur ganz knapp vorbeigeschrammt und es war letztendlich ein richtiger Bürgerkrieg, der zur Einheit führte.

Könnte man daraus schließen, dass heute die Chancen für eine europäische Republik mit einer zentralen Regierung besser stehen als damals für die USA? Immerhin waren damals die kulturellen Unterschiede zwischen den puritanischen Neuengländern und den sklavenbesitzenden Landherren aus dem Süden wahrscheinlich größer als heute zwischen Deutschland und Griechenland. Das Kapital und die Produktivität waren im Norden, die „Nichtstuer“, die auf Pump ihren Wohlstand genossen, waren im Süden. 

Theoretisch könnte man zu diesem Schluß kommen. Im soziologischen Labor müsste man meinen, dass, wenn es die Amerikaner damals geschafft haben, die Europäer es heute allemal schaffen müssten.

Mein Eindruck war, dass Ihr Drang, Ihre theoretische Meinung zu verkünden, so stark war, dass Sie den praktischen Erfahrungen eines Elder Statesman wie Edmund Stoiber gar nicht folgen konnten und/oder wollten. Oder haben Sie gehört, wie Herr Stoiber auf „Jahrhunderte von Geschichte“ verwiesen hat? 

Ich halte eine von Europas größten Stärken (und dies im Gegensatz zu den USA) seine Vielfalt. Eine vielschichtige Vielfalt, u. a. auch eine Vielfalt an Nationalgefühlen und Nationalstaaten. Wer diese große Stärke schwächen möchte, muß m. E. aus seinem/ihrem Elfenbeinturm herausgeholt werden.

Die berühmte „Subsidiarität“ war kein Modeausdruck. Im Gegenteil, ohne eine kluge Subsidiarität wird Europa nie gemeinsam funktionieren können. Die Schweiz ist ein Musterbeispiel der erfolgreich gelebten Subsidiarität. Ich glaube, dass sich die meisten Europäer dafür begeistern können, dass eine strenge EU Institution über die Einhaltung des Kartellrechtes in allen Mitgliedstaaten wacht. Ich glaube allerdings nicht, dass viele Europäer verstehen, warum 70% (oder mehr) ihrer Gesetze außerhalb des eigenen Landes gemacht werden, die EU jedoch nicht in der Lage ist, ihre Außengrenzen verantwortungsvoll zu schützen, mit einer außenpolitischen Stimme zu sprechen oder eine einheitliche Verteidigungspolitik zu haben.

Die berühmten „4 Freiheiten der EU“ sind wohl im Rausche der Gefühle entstanden, ein rationaler Geist hätte wahrscheinlich sorgsamer gehandelt. Griechenland ist buchstäblich kaputt gegangen, weil es für die Freiheiten des Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs noch nicht gewappnet war. Aktuell ist es die Freiheit des Personenverkehrs, über die man durchaus nachdenken sollte. 

Obige „4 Freiheiten“ können nur am Ende und nicht am Anfang einer europäischen Integration stehen und sie müssen schrittweise und bedächtig eingeführt werden. Das Vereinigte Königreich ist mit der Freiheit des Personenverkehrs ohne Übergangsfristen vorgeprescht und heute kann man das Ergebnis beobachten.

Freundliche Grüße

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